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Evidenzbasiertes Fabrikdesign – neues Forschungsfeld oder nur ein anderes Label?

Die Medizin als Vorbild – ein Blick über den Tellerrand regt Kreativität (und auch Diskussionen) an. Mehr oder weniger zufällig sind wir dabei auf einen Ansatz – oder vielmehr eine Fragestellung – gestoßen, die möglicherweise auch die Fabrikplanung beeinflussen kann.

In einem Podcastbeitrag von „Forschengeist“ wurde das Thema der evidenzbasierten Medizin von Tim Pritlove und Dr. Gerd Antes diskutiert. Überraschend war hier für uns: wirklich systematische statistische Auswertungen im Bereich der Medizin werden laut Antes erst seit Ende der 70er-Jahre durchgeführt. Er selbst gilt dabei als Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin.
Der zentrale Begriff und die mit den Erkenntnissen einhergehenden medizinischen Erfolge haben uns überlegen lassen ob auch die Fabrikplanung „mehr Evidenz“ benötigt.
Doch eins noch dem anderen …

Evidenzbasiert – was heißt das?

Eine kurze, nicht-wissenschaftliche Recherche zeigt: Evidenz ist die unmittelbare kognitive Nachvollziehbarkeit eines Zusammenhangs [1]. Evidenz kann hierbei auch die Beweiskraft des Ergebnismaterials umfassen, mit dem Thesen und Theorien belegt werden sollen [2]. In der Medizin bezeichnet Evidenz den empirisch erbrachten Nachweis des Nutzens einer diagnostischen oder therapeutischen Aktion. Übertragen auf die Fabrikplanung würde das bedeuten:

Evidenz bezeichnet für die Fabrikplanung den empirisch erbrachten Nachweis des Nutzens einer planerischen Aktion.

Nun könnte man sich ausgiebig über die Definition von „Nutzen“ unterhalten, aber im Endeffekt wird das Planungsergebnis durch betriebswirtschaftliche Größen (z. B. Rendite oder Amortisationsdauer) gemessen und fließt damit in übergeordnete Kennzahlensysteme ein. Um nun aber der Evidenz in der Fabrikplanung einen Schritt näher zu kommen, ist es hilfreich, das Konzept des evidenzbasierten Designs zu betrachten das bereits in anderen Domänen vorgedacht wurde.

Evidence-based Design

Evidence-based Design hat eine gewisse Popularität in der Architektur erlangt. Es wird grundlegend als Prozess verstanden, in dem man aktuelle Methoden aus der Forschung in die Gebäudeplanung überführt, um gemeinsam mit einem Endanwender kritische Design-Entscheidungen systematisch in die Praxis zu übertragen (siehe z. B. [3]). Auch hier liegt der Ursprung wieder in der Medizin, da eine hohe Anzahl von Untersuchungen bestätigt, dass die physische Umgebung die Effektivität des Personals und damit den Patientenstress beeinflusst [4]. Die räumliche Qualität hat somit unmittelbar Auswirkung auf den Menschen und dessen Wohlbefinden. Aufgrund dieser Erkenntnis wird der Ansatz inzwischen auch bei der Planung des öffentlichen Raums angewendet, um Städten dabei zu helfen, fundierte Entscheidungen hinsichtlich räumlicher Muster, Flächennutzung sowie Umweltwirkungen zu treffen.

Warum also dieses Wissen und die Methoden nicht einfach auf das Feld der Fabrikplanung anwenden?

Mehr Fragen als Antworten

In unserer täglichen Arbeit – Konzepte und Lösungen im Feld der Fabrikplanung zu entwickeln – sehen wir uns mit ständig neuen Herausforderungen konfrontiert. Es stehen uns eine Vielzahl von verschiedenen Planungsmethoden und -instrumenten zur Verfügung, die wir in Anbetracht der individuellen Unternehmensinformationen, Richtlinien und unter dem Einfluss externer Faktoren zielgerichtet einsetzen müssen. Ein evidenzbasiertes Vorgehen und damit der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit von Maßnahmen klingt also im Hinblick auf das komplexe System Fabrik vielversprechend.

An der Stelle treten nun verschiedene Fragen zutage, die jeweils für sich nochmals eine tiefergehende Analyse erfordern:

  • Können Verfahren und Anforderungen aus der medizinischen Forschung (z. B. Doppelblindstudien) sinnvoll auf die Fabrikplanung übertragen werden?
  • An welcher Stelle werden große statistische Auswertungen (wie in der Medizin) für die Fabrikplanung erforderlich bzw. überhaupt erst einmal möglich?
  • Lassen sich Erkenntnisse des Evidence-based Design auf die Fabrik übertragen, um insbesondere die Planung von „Urban Factories“ zu verbessern?
  • Welche Auswirkung hätte eine starke statistische Evidenz auf die aktuellen Hoffnungen oder Versprechen des „green growth“?
  • Ist die Fabrikplanung anderen Domänen hier schon viel länger voraus, da der Einsatz von Simulationswerkzeugen und Optimierungsmodellen teilweise schon „daily business“ ist?

Nicht zuletzt leiten sich aus dem Gedanken neue Anforderungsprofile an Fabrikplaner/-innen und die im Prozess Beteiligten ab. Der ohnehin interdisziplinäre Charakter eines Fabrikplanungsprojektes muss noch mehr um Kompetenzen aus der Statistik, Ökologie – bis hin zu den Sozialwissenschaften – ergänzt werden. Viel Potential für weitere Forschung und Diskussion also…

Quellen

[1] https://flexikon.doccheck.com/de/Evidenz

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Empirische_Evidenz

[3] Hamilton, Watkins; Evidence-Based Design for Multiple Building Types, 2009.

[4] Alfonsi, Capolongo, Buffoli; Evidence Based Design and healthcare: an unconventional approach to hospital design, 2014.

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