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Reisebericht CARV und MCPC 2023 – Bologna

Maxi Grobis und Maximilian Stange berichten in diesem Beitrag über Ihre Erlebnisse bei dem Konferenzbesuch in Bologna im Juni 2023. Von wissenschaftlichen Vorträgen über Industriebesichtigungen bis hin zum je eigenen Vortrag über Verbesserungen der Fabrikplanung anhand von Simulation und Open Source Hardware war alles dabei.

Max: Kurz nach halb neun am Montagmorgen rattert der Zug los, es wird eine lange Fahrt für mich und meine Kollegin Maxi Grobis. Doch die zwölf Stunden Zugfahrt und zwei Umstiege werden sich am Ende gelohnt haben. Für uns ging es Mitte Juni zur Doppelkonferenz CARV (Changeable, Agile, Reconfigurable and Virtual Production Conference) und MCPC (World Mass Customization & Personalization Conference), die zeitgleich in Bologna stattfanden. Was wir in den vier Tagen volles Programm mit Keynotes, wissenschaftlichen Vorträgen, Industriebesichtigungen und natürlich unseren eigenen Beiträgen erlebt haben, berichten wir Ihnen in diesem Beitrag.

Eigene Beiträge

Maxi: Max und ich hatten zwei sehr verschiedene Beiträge im Reisegepäck nach Bologna. In meinem Vortrag » Simulation-based improvement of production in the textile industry – A case study« habe ich, wie es bereits der Titel vermuten lässt, über die Vorgehensweise in einem Projekt gesprochen, in dem wir in der Produktion eines Textilherstellers mittels Simulation Optimierungen generieren konnten. Die Textilindustrie steht vor besonderen Herausforderungen, die mit der Industrie 4.0 und der fortschreitenden Digitalisierung einhergehen. Die Produktionsvielfalt, die sich aus den Individualisierungswünschen der Kunden ergibt, der gestiegene Kostendruck, Fachkräftemangel und auch der globale Druck auf mehr Ressourceneffizienz erfordern die Notwendigkeit, den manuellen Produktionsaufwand zu reduzieren und neue Produktionsplanungsansätze zu entwickeln. Mithilfe der ereignisdiskreten Simulation konnten wir verschiedene Planungsregeln testen, in dem wir die Produktion des Textilherstellers und dessen Aufträge in einem Modell abgebildet haben. Trotz einer zu Beginn geringen Datenverfügbarkeit und einer damit einhergehenden Skepsis, konnten wir Verbesserungen in der Produktion durch die Reduzierung der Durchlaufzeiten und Bestände aufzeigen.

Max: Ich hingegen sprach gleich am ersten Tag über »Open Source Hardware in Manufacturing – Opportunities and Challenges«, ein noch relativ junges Konzept, bei dem versucht wird, die Prinzipien von Open Source Software auch auf Dinge zu übertragen. Dabei soll der Entwicklungsprozess ebenso wie das fertige Produkt offen, d.h. für jede/n transparent einsehbar, zugänglich, veränderbar und (kommerziell) herstellbar sein. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Transferraum forschen wir dazu gemeinsam mit der HTW und der TU Dresden. Im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus ist das Konzept noch wenig erforscht und stößt auf einige Hürden, aber die Potentiale gerade im Transfergeschehen zwischen Forschung und Industrie überwiegen.

Keynotes und Vorträge

Max: Das Herzstück einer Konferenz sind natürlich immer die Vorträge und Keynotes. Die Organisatoren haben ein vielfältiges Programm zusammengestellt, mit dessen Beschreibung wir Seiten füllen könnten. Einige Highlights wollen wir aber nicht unerwähnt lassen. Die Keynote von Prof. Thomas Gries, Leiter des Instituts für Textiltechnik (ITA) an der RWTH Aachen, war im Zusammenhang mit dem Beitrag von Maxi besonders interessant, denn auch hier ging es, wenig überraschend, um die Textilindustrie. In seiner Keynote ging er auf den Paradigmenwechsel in der Branche ein und fokussierte dabei auf die Integration des Kunden in die Wertschöpfungskette und den Übergang zur nutzer- und kundenzentrierten Produktion. Er diskutierte das Konzept Industrie 4.U, das die Individualisierung durch standardisierte Prozesse und den Einsatz von Industrie 4.0-Technologien zur Steigerung des Kundennutzens in den Vordergrund stellt.

Normalerweise sind Vorträge, die nur aus einem Literaturreview bestehen, nicht besonders interessant, aber wir möchten zwei weitere Beiträge hervorheben, die dies sehr gut gemacht und wichtige Erkenntnisse geliefert haben. Zum einen berichtete Leonardo Maretto über »Models for the cost-benefit analysis of digitalization and Industry 4.0«.  Überraschend war hier, dass es für einen so häufig verwendeten Begriff so wenig Literatur zum Thema Kosten-Nutzen-Analyse der Umsetzung von Industrie 4.0 gibt. Nur neun Arbeiten konnten von Maretto et al. identifiziert werden, was für uns auch ein Ansporn ist, z. B. aus Projekten über das Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz mehr zu berichten, denn hier unterstützen wir mit unseren Partnern gezielt KMU z. B. bei der Umsetzung von Industrie 4.0.

Ein weiterer Beitrag von Ludovica Diletta Naldi stellte die kritische Frage »Is Mass Customisation sustainable? «. Die Antwort war ein klares Jein. Es gibt positive und negative Effekte im Vergleich zur klassischen Massenproduktion. Aber auch hier zeigt sich, dass die Literatur derzeit noch begrenzt ist und weitere praktische Fallstudien fehlen. In beiden Bereichen sind daher in den nächsten Jahren weitere spannende Beiträge zu erwarten.

Industrietour

Viele der Vorträge, die wir im Rahmen der Konferenz gehört haben, hatten das Thema Nachhaltigkeit zum Inhalt, was natürlich auch ein Treiber für unsere eigene Forschung ist und auch Einfluss auf die Wahl unseres Transportmittels hatte. Bei der Industrietour haben wir zwei Unternehmen besucht, bei denen man nicht unbedingt zuerst an Nachhaltigkeit denkt. Auf dem Programm standen Philip Morris International (Rauchen schadet der Gesundheit und dieser Beitrag soll auf keinen Fall dazu animieren) und Ducati, vor allem bekannt für seine sportlichen Motorräder.

Der Standort von Philip Morris ist hochmodern, schon auf den ersten Metern kreuzen AGVs unseren Weg. Hier werden keine herkömmlichen Zigaretten hergestellt, sondern »rauchfreie« Produkte, als Leitstandort des Konzerns ist hier alles weitgehend automatisiert. In der letzten Produktionshalle riecht es stark nach Menthol, einer Geschmacksrichtung, die in Japan wohl sehr beliebt ist. Neben der Produktion besichtigen wir auch eine Art Schulungs- und Veranstaltungszentrum, das vor allem für Open-Innovation-Ansätze eine zentrale Rolle spielt. Hier können Kunden, Lieferanten, Forscher oder Studenten gemeinsam an innovativen Produkten arbeiten.

Wer sich ein bisschen im Rennsport auskennt, weiß, dass der letzte MotoGP-Sieger (Francesco Bagnaia) ein Ducati fuhr. Diese Maschine und auch die normalen Straßenmodelle werden in Bologna gefertigt. Die Produktion unterscheidet sich stark von dem, was wir am Vormittag gesehen haben. Zwar fahren auch hier mittlerweile AGVs, aber es sind immer noch viel mehr manuelle Arbeitsschritte nötig, um ein Motorrad herzustellen. Außerdem ist die Varianz der Modelle recht hoch, die fast alle auf der gleichen Linie produziert werden. Durch die alten Produktionshallen ist es hier auch sehr heiß, insgesamt mussten wir bei Temperaturen von fast durchgehend 37°C selten frieren.

Fazit

Maxi: Die viertägige CARV-MCPC in Bologna war nicht nur rein wissenschaftlich von großem Wert, auch war sie organisatorisch gesehen ein voller Erfolg. Neben den vielen spannenden und doch unterschiedlichen Key-Notes und Vorträgen sowie der Industrietour möchte ich noch einen Punkt erwähnen, den Max oben noch nicht angesprochen hat: das Konferenz-Dinner. In den historischen Gebäuden von Bologna hat die CARV-MCPC ein perfektes Dinner organisiert, dass nicht nur kulinarisch exzellent war (italienisches Essen halt), sondern auch wieder hervorgehoben hat, wie wertvoll der gemeinsame Austausch unter Konferenzteilnehmern ist. So durften wir viele tolle Wissenschaftler aus Europa und auch über die Grenzen hinweg kennenlernen. Nach vier Tagen voller positiver Eindrücke waren wir zwar dann sehr geschafft, aber auch die Deutsche Bahn hat am Ende ihren Job gemacht und uns in einer zwölfstündigen Rückreise gut wieder nach Hause gebracht.

An der Stelle wollen wir nochmals betonen, dass wir die Konferenz jedem empfehlen können, der im Themengebiert für agile, rekonfigurierbare und virtuelle Produktion sowie Mass Customization und Personalisierung arbeitet und mit einem abschließenden Bild „Salute!“ sagen, auf die nächste tolle Konferenz.

Gruppenfoto in Bologna – Eine Erfahrung auf die wir gerne zurückblicken.

Maximilian Stange

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